Die Braunbürstige Hosenbiene (Dasypoda hirtipes) trägt pollenbeladene „Baggypants“ aus Haaren, die nur 5 mm kleine Mauer-Maskenbiene (Hylaeus hyalinatus) schwirrt wie ein schwarzer Miniatur-Zorro durch die Luft und der Panzer der blauschwarzen Holzbiene erinnert an schillernde Pfauenfedern. Der Farb- und Formenreichtum der heimischen Wildbienen ist kein ästhetischer Luxus, sondern das Resultat von 100 Millionen Jahren Koevolution mit Blütenpflanzen.
In der Konsequenz sind 30 Prozent aller Wildbienenarten oligolektisch, also auf einzelne Pflanzenfamilien spezialisiert – und einzelne Pflanzenfamilien sind von bestimmten Bienenarten abhängig. Stirbt die Braunbürstige Hosenbiene, werden Wegwarte und Ferkelkraut nicht mehr bestäubt – der Beginn eines Dominoeffekts, der ganze Ökosysteme zum Einsturz bringt. Stirbt Andrena nitida, die Glänzende Düstersandbiene, stirbt die deutsche Eiche.
Von den ehemals 604 nachgewiesenen Wildbienenarten in Deutschland gelten nach Angaben der Fachzeitschrift Antophila 37 als gesichert ausgestorben, 31 als schwerwiegend bedroht und nur 206 als nicht gefährdet. Anders ausgedrückt: Bei mehr als 50 Prozent der deutschen Wildbienen nimmt der Bestand kontinuierlich ab.

Dabei geht es nicht nur den Wildbienen immer schlechter. Eine im Online-Journal PLOS. One veröffentlichte Studie zeigte einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten in 63 untersuchten Naturschutzgebieten Deutschlands von 76 Prozent innerhalb von 27 Jahren. Bestäuben, Boden verbessern, Abfall verwerten, Schädlinge bekämpfen – die Anzahl unverzichtbarer Akteure zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts nimmt rapide ab.
Der Rückgang der Insekten mag besonders dramatisch erscheinen, doch der Rückgang der Artenvielfalt ist nicht auf diese Gattung beschränkt: 28,2 Prozent aller Farn und Blütenpflanzen, 31 Prozent der Säugetiere, 43 Prozent der in Deutschland brütenden Vogelarten, 52 Prozent der Süßwasserfische und Neunaugen – sie alle gelten als gefährdet oder bereits ausgestorben. Dabei bildete Biodiversität das Fundament unserer Existenz.
Warum Biodiversität unser Überleben sichert
Die biologische Vielfalt auf der Erde ist das Ergebnis von 4,5 Milliarden Jahren Evolution und umfasst alle Lebensformen von mikroskopischen Pilzen bis hin zu riesigen Wäldern. Dabei geht die Bedeutung der Biodiversität weit über die bloße Anzahl der Arten hinaus. Sie umfasst die genetische Vielfalt innerhalb der Arten, die Vielfalt der Lebensräume und die komplexen Wechselbeziehungen zwischen den Arten in ihren Ökosystemen – und sie sichert unser Überleben.
76 Prozent des deutschen Trinkwassers werden aus Grundwasser gewonnen. Die Qualität dieses Wassers hängt unmittelbar von intakten und artenreichen Ökosystemen ab. Insektenlarven, Muscheln, Mikroorganismen – sie alle tragen ihren Teil zur natürlichen Reinigung und Filterung des Wassers bei.
Auch für die Luft zum Atmen ist Biodiversität von essenzieller Bedeutung. Artenreiche Wiesen speichern deutlich mehr Kohlenstoff als ihre artenarmen Pendants. Und ein Waldexperiment in China belegt, dass Mischwälder deutlich mehr CO2 pro Hektar speichern (32 Tonnen) als Monokulturen (12 Tonnen).
Die Vielfalt der Bestäuber – Vögel, Bienen und anderen Insekten – ist essenziell für unsere Ernährung. Ohne sie hätten wir weder Äpfel noch Kirschen, Heidelbeeren oder Mandeln.
Grundsätzlich gilt dabei: Je artenreicher Ökosysteme sind, desto leistungsfähiger und stabiler funktionieren sie. Dies liegt daran, dass sich verschiedene Arten bei wichtigen Funktionen wie Nährstoffaufnahme und Wachstum gegenseitig ergänzen und bei Störungen aushelfen können. Angesichts der immer offenkundigeren Klimaveränderungen mit suboptimalen Umweltbedingungen im Schlepptau ist diese Resilienz ein zunehmend wichtiger Faktor – auch wirtschaftlich.

Biodiversität bewahrt uns vor noch größeren Schäden durch Naturkatastrophen. Natürliche Flüsse und Auwälder funktionieren wie Schwämme und können bei Hochwasserereignissen große Wassermengen aufnehmen. Begrünte Dächer und strategisch platzierte Stadtbäume können die Folgen durch Starkregenereignisse minimieren, die Kanalisation entlasten und so Überschwemmungen verhindern. In Bergregionen schließlich trägt eine vielfältige Vegetation maßgeblich zum Erosionsschutz bei. Die unterschiedlichen Wurzelsysteme verschiedener Pflanzenarten durchdringen den Boden in verschiedenen Tiefen und bilden ein natürliches Netzwerk, das den Boden zusammenhält und vor Auswaschung schützt.
Praktische Maßnahmen für Privatpersonen
Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Biodiversität gepaart mit den erschreckenden Zahlen, die ihren Rückgang quantifizieren, ist eines klar: Es muss etwas geschehen. Dabei ist nicht nur die Politik gefordert, sondern jeder Einzelne, denn auch kleine Maßnahmen können in der Summe Großes bewirken. Ob im eigenen Garten oder auf dem Balkon – überall gibt es Möglichkeiten, die biologische Vielfalt zu fördern und zu schützen. Die folgenden praktischen Handlungsoptionen zeigen, wie jeder einen wertvollen Beitrag leisten kann.
1. Heimische Pflanzenarten
Heimische Pflanzen sind wahre Multitalente und Biodiversitäts-Booster. Über Jahrtausende haben sie sich perfekt an lokale Bedingungen angepasst und stehen in enger Beziehung zur einheimischen Tierwelt. Viele Insekten sind auf spezifische heimische Pflanzen angewiesen.
2. Pestizidfreies Gärtnern
Pestizide sind regelrechte Biodiversitätskiller, da sie nicht nur Zielorganismen töten, sondern auch andere Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen. Mischkulturen, durchdachte Fruchtfolgen und eine robuste Sortenwahl helfen bei der natürlichen Schädlingsbekämpfung. Pflanzenjauchen, etwa aus Brennnesseln, stärken die Abwehrkräfte der Kulturpflanzen.
3. Blumenwiesen
Eine Wildblumenwiese bietet einen Lebensraum für 30–50 verschiedene Pflanzenarten und zieht zahlreiche Tiere an. Neben Nahrung finden diese hier auch Schutz vor Hitze und Trockenheit sowie Überwinterungsmöglichkeiten.
4. Nistmöglichkeiten
Nistkästen für verschiedene Vogelarten, besonders für Meisen, können bereits ab April Vogelnachwuchs beherbergen. Trockenmauern bieten zudem einen wertvollen Lebensraum für Insekten, die sich in Ritzen und Hohlräumen verstecken. Zusätzliche Nisthilfen aus Schilfrohr unterstützen Wildbienen.
5. Wasserstellen
Naturnahe Teiche ziehen Vögel an und bieten Amphibien und nützlichen Insektenarten einen Lebensraum. Wichtig sind flache Uferzonen, die Tieren ein leichtes Ein- und Aussteigen ermöglichen.
1. Insektenfreundliche Pflanzen
Verschiedene Blumen eignen sich besonders gut für einen insektenfreundlichen Balkon:
Das Gänseblümchen ist mit seiner langen Blütezeit von Februar bis Oktober eine der wertvollsten einheimischen Pflanzen für Insekten. Die Aussaat kann zwischen März und Juli erfolgen. Vorgezogene Pflanzen können im Mai, nach den letzten Frösten, ausgepflanzt werden.
Das Lungenkraut bietet Schmetterlingen eine frühe Nahrungsquelle und dient der Lungenkraut-Mauerbiene als Hauptpollenquelle. Die optimale Pflanzzeit für vorgezogene Pflanzen ist im April oder Mai. Für die Aussaat eignet sich der März am besten.
Das bereits ab Januar blühende Schneeglöckchen ist eine der ersten Nahrungsquellen für Wildbienen. Die beste Pflanzzeit der Zwiebeln ist von September bis Oktober. Bestehende Blumen können zwischen Februar und Ende März umgepflanzt werden, wenn sie in voller Blüte und mit grünen Blättern am widerstandsfähigsten sind.
2. Vertikale Gärten
Vertikale Gärten nehmen nur wenig Platz ein, fungieren aber dennoch als wichtige Vernetzungspunkte im Geflecht der innerstädtischen biologischen Vielfalt. Mit der richtigen Pflanzenwahl können sie gezielt bestäubende Insekten anlocken.
3. Mini-Biotope
Auch auf dem Balkon sind Nisthilfen und Wasserstellen wichtig. Flache Wasserschalen sollten mindestens wöchentlich erneuert werden, um keine Brutstätten für unerwünschte Insekten wie Mücken zu schaffen. Kleine Stein- oder Holzstapel bieten Rückzugsmöglichkeiten für verschiedene Insekten und Spinnentiere.
Zeit zum Handeln
Anstatt von der Größe der Herausforderungen überwältigt zu sein, sollten wir uns auf machbare Aktionen konzentrieren, die wir täglich umsetzen können. Jeder von uns kann durch kleine, aber konsequente Schritte Veränderungen anstoßen. Und wenn jeder von uns diese kleinen Schritte unternimmt, können diese zusammen eine bedeutende Wirkung entfalten.
Ob durch die Gestaltung naturnaher Gärten, die Teilnahme an Urban-Gardening-Projekten oder das Engagement in einer der 2.000 lokalen NABU-Gruppen – die Möglichkeiten sind vielfältig. Wir alle schätzen die Natur und ihre Vielfalt. Jetzt ist es an der Zeit, diese Wertschätzung in konkretes Handeln umzuwandeln. Wenn wir alle unseren Beitrag leisten, können wir gemeinsam große Herausforderungen bewältigen und eine nachhaltigere Zukunft gestalten. Wenn wir alle unseren Beitrag leisten, kann der aktuelle Biodiversitätsschwund nicht nur gestoppt, sondern umgekehrt werden. Wenn wir alle unseren Beitrag leisten!
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