Die Wirtschaft steht Kopf, wir leben in außergewöhnlichen Zeiten, hat Hans Stegeman in seiner letzten Kolumne geschrieben. Was müsste passieren, um der Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Beine zu helfen? Vier Gedankenspiele von Hans:
Ich bin überzeugt davon, dass keine einzelne Lösung schmerzlos sein wird, aber wir müssen etwas tun. Das steht außer Frage. Denn der Weg, auf dem wir uns jetzt befinden, wird unweigerlich in eine Sackgasse führen. Wir können nicht weiter an unserem derzeitigen Wachstumskonzept festhalten, sondern müssen grundsätzlich über die Art der Wirtschaft nachdenken, die wir wollen.
Ohne Schmerz kein Gewinn
Warum ist es so schwierig unser Wirtschaftssystem zu verändern? Weil es schmerzhaft vor allem für die ist, die heute zu den Gewinnerinnen und Gewinnern zählen. Also auch für viele von uns. Die kurzfristigen Verluste sind groß und die langfristigen Gewinne abstrakt.
Meiner Meinung nach wird es keine „sanfte Landung“ geben können, um unserer Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Wie kann die Geldpolitik normalisiert und der Fortschritt in einer Weise erreicht werden, die allen zugutekommt? Und wie können wir dies auf eine Weise tun, die den großen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran dem Klimawandel, gerecht wird? Das ist nur mit einer radikalen Therapie möglich.
Bevor ich meine Gedanken darüber darlege, was passieren sollte, wollen wir uns zunächst einmal überlegen, wie wir es nicht tun dürfen (leider sehen dies viele Politiker*innen derzeit anders):
Festhalten am undefinierten Wirtschaftswachstum
Wirtschaftswachstum, oder besser gesagt, eine verstärkte Wirtschaftstätigkeit, ist nur dann eine gute Sache, wenn sie produktiv ist. Damit meine ich, dass diese Wirtschaftstätigkeit nicht nur zu mehr Arbeitsplätzen, sondern vor allem zu Fortschritt oder Wohlstand führen sollte. Wirtschaftswachstum, das nur zu Immobilien- und Finanzblasen führt, oder, schlimmer noch, Wirtschaftswachstum, das die ökologischen Grenzen weiter überschreitet, ist genau das, wovon wir wegkommen müssen.
Festhalten an den Inflationszielen der Zentralbanken
Solange die Zentralbanken an der Idee festhalten, dass die Inflation steigen muss, wird es immer ein Argument für eine weitere Lockerung der Geldpolitik geben – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Nur eines wird nicht erreicht: das eigentliche Ziel, der Anstieg der Inflation. Was dagegen passieren wird, ist, dass die Preise aller finanziellen Vermögenswerte steigen werden: von Immobilienpreisen bis hin zu den Aktienkursen. Das ganze System wird gestört und instabil. Die Zentralbanken sollten bitte mit dem weitermachen, wofür sie geschaffen wurden: die Überwachung und Förderung der Preis- und Finanzstabilität.
Aufgrund des extrem niedrigen Zinsniveaus können auch wenig produktive Unternehmen weiter bestehen. In einer normalen Wirtschaft wären sie schon vor langer Zeit Konkurs gegangen. Sie werden von der derzeitigen Geldpolitik also geschützt. Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus gibt es für Privatpersonen keinen Anreiz, ihre Kredite zu reduzieren. In einer normalen Wirtschaft würden sie es tun. Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus und der praktisch nicht vorhandenen Risikowahrnehmung gibt es auch wenig Anreiz für Regierungen, Reformen durchzuführen. In einer normalen Wirtschaft gäbe es ihn.
Mögliche, unbehagliche Lösungen
Die Lösungen, um die Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen, sind aus wirtschaftlicher Sicht kompliziert genug, aus politischer Sicht aber noch schwieriger. Denn kein politischer Entscheidungsträger will für kurzfristige Verluste der reichsten Mitglieder der Gesellschaft verantwortlich sein. Paul Volcker, Vorsitzender der US-Notenbank in den frühen 80er Jahren, war der letzte, der es wagte, sich in dieser Hinsicht zu engagieren, indem er zu Beginn des Jahrzehnts die Zinsen erhöhte.
Was also tun? Meiner Meinung nach gibt es vier Optionen, die auch in Kombination eingesetzt werden können – und die alle schmerzhaft sind. Hier sind sie:
Option 1: die Monetäre Schocktherapie; Straffung statt weiterer Lockerung.
Die Zinsen dürfen nicht weiter gesenkt werden, sondern sollten auf einen Schlag deutlich angehoben werden. Ist das möglich? Ja, so gut wie. Stimmt der Zeitpunkt? Nein. Die Straffung ist viel zu lange aufgeschoben worden, und der Konjunkturzyklus nähert sich weltweit dem Ende. Sind die Konsequenzen das, was wir wollen? Zum Teil, weil die Schuldenpositionen untragbar werden und abgebaut werden müssen. Zum Teil aber auch nicht, denn hohe Zinsen bremsen die Konjunktur, führen zu Konkursen und Schulden, die nicht mehr getilgt werden können und zu starken Wertverlusten der Vermögen führen können. Nur eine Anhebung der Zinssätze führt daher nicht zu einer effektiveren Wirtschaft, sondern kann im schlimmsten Fall die gesamte Wirtschaft zum Erliegen bringen.
Option 2: die haushaltspolitische Schocktherapie; die Regierungen treten auf den Plan, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Vor dem Hintergrund des niedrigen Zinsniveaus ist es aus gesellschaftlicher Sicht sehr attraktiv, große Summen in öffentliches Vermögen zu investieren. Das könnte die Wirtschaft normalisieren, denn einer der Gründe für das niedrige Zinsniveau ist die weltweit fehlende Investitionsnachfrage. Staatliche Investitionen in die Ökologisierung der Wirtschaft beispielsweise oder große Investitionen in Wissen und Bildung bringen erhebliche soziale Erträge und führen zu Innovationen. Solche Investitionen müssen jedoch in viel größerem Umfang getätigt werden, als derzeit in Erwägung gezogen wird. Andernfalls wird der “Japan-Effekt” eintreten; immer wieder wird das Wachstum leicht anziehen, um dann wieder einen Rückschlag zu erleiden, während die Staatsverschuldung weiterwächst, ohne dass eine strukturelle Verbesserung in Aussicht steht. Dies kann nur durch die Umsetzung eines überzeugenden großen Plans auf globaler oder zumindest europäischer Ebene gelöst werden. Die bestehenden Haushaltsregeln und Schuldenpositionen stellen jedoch ein ziemliches Hindernis für die Umsetzung dieser Option dar und müssen daher in Europa in vernünftiger Weise zurückgestellt werden. Und mit vernünftig meine ich, dass die Ausgaben nicht für den kurzfristigen Konsum, sondern für Investitionen mit einem langen Zeithorizont verwendet werden dürfen.
Option 3: die Schuldenschocktherapie
Ein Schuldenerlass ist ein sehr altes Konzept. Vor Tausenden von Jahren erließen die Mesopotamier den (Haushalts-)Schulden ab und zu einen Schuldenerlass. In einer weniger weit zurückliegenden Vergangenheit, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, erließen die USA ihren europäischen Verbündeten die Schulden. Der Grundgedanke ist, dass, wenn alle immer wieder zur Erfüllung ihrer Schulden verpflichtet werden, dies den Wirtschaftsprozess lähmen kann. Das ist sicherlich der Fall, wenn Schulden nicht produktiv genutzt wurden; es kann sehr lange dauern, bis diese Schulden zurückgezahlt werden.
Der wirtschaftliche Vorteil eines Schuldenerlasses liegt auf der Hand: Regierungen und Unternehmen können dann ihre Investitionen erhöhen und ihre Innovationsanstrengungen wieder steigern, und die Geldpolitik kann sich wieder normalisieren. Ein Schuldenerlass ist vor allem aus politischen Gründen eine schwierige Entscheidung, aber auch, weil es mit allerlei rechtlichen Fragen verbunden ist. Und auch: Die Schulden der einen Partei sind natürlich das Vermögen der anderen Partei.
Option 4: Kostenloses Geld.
Auch dies kann als eine Form der Schuldenschocktherapie angesehen werden. Die monetäre Finanzierung, oder auch Helikoptergeld, hat den Vorteil, dass man Schulden tilgen kann, ohne dass man Schulden streichen muss. Dies kann der Wirtschaft einen neuen Aufschwung geben. Je nach der genauen Form der Entlastungsmaßnahme kann eine Umverteilung ermöglicht und eventuell bestimmte Projekte, z.B. Nachhaltigkeitsprojekte, gefördert werden. Gezielte monetäre Lockerungen funktionieren viel besser als die ungezielte Liquiditätshaubitze, die jetzt ständig eingesetzt wird. Natürlich kann es unerwünschte Nebenwirkungen geben, wie z.B. eine außer Kontrolle geratene Inflation. Aber das ist noch lange nicht der Fall, und sollte es doch einmal vorkommen, könnten die Zentralbanken immer noch die üblichen geldpolitischen Instrumente einsetzen, die sie in ihrem konventionellen Instrumentarium haben.
Dies scheint eine vernünftige Auswahl an Optionen zu sein, aus denen man wählen kann. Aber es ist klar, dass die meisten politischen Entscheidungsträger keine dieser vier Optionen als Wahlmöglichkeit betrachten. Letztendlich gibt es für sie aber keinen anderen Ausweg. Wir müssen Entscheidungen treffen, denn die Wirtschaft kann nicht unbegrenzt auf dem Kopf stehen bleiben.
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